Sutra I. 21 tīvra-saṁvegānām-āsannaḥ
Für den eifrigen und engagierten Praktizierenden kommt der Erfolg geschwind
Sutra I. 22 mṛdu-madhya-adhimātratvāt-tato’pi viśeṣaḥ
Der Erfolg variiert je nachdem wie viel Anstrengung investiert wurde (mild, mittel oder intensiv)
Patanjali widmet hier zwei Sutras einem scheinbar einfachen Umstand, nämlich, dass man eifrig und engagiert sein muss und der Erfolg von der eingesetzten Anstrengung abhängig ist.
Es stellt sich hier auf den ersten Blick die Frage wieso das zwei Sutras „wert“ sein sollte, was man viel kürzer hätte halten können.
Wenn wir uns die Sutras 1.15 und 1.16 ins Gedächtnis rufen, dort ging es um „Nicht-Anhaftung“. Dieses Konzept bedeutet sich frei zu machen von Begierden. Was ist es aber, das uns motiviert, uns antreibt und uns als Menschen dazu bringt Anstrengungen zu unternehmen, wenn nicht die Begierde?
Später in den Yoga Sutras werden wir noch auf die Hindernisse auf dem Pfad des Yoga zu sprechen kommen und den grundsätzlichen Schwierigkeiten mit denen sich jeder Mensch herum schlagen muss. Im Kern geht es in jeder Art von spirituellen Praxis darum sich diesen „menschlichen Schwierigkeiten“ zu stellen, sich darüber zu erheben und sich den „höheren“ Schwierigkeiten zuzuwenden um letztlich das eigene Selbst zu transzendieren. Die fundamentalste dieser „menschlichen Schwierigkeiten“ ist die Angst vor dem Tod, deshalb ist es essentiell in einer spirituellen Praxis sich mit dem Tod auseinander zu setzen und seinen Frieden im Leben damit zu machen, das man sterben wird.
Es braucht also eine Begierde die so stark ist, dass sie selbst die Angst vor dem Tod transzendiert, dass es nichts anderes gibt das wichtiger ist und doch ist die Nicht-Anhaftung eine Voraussetzung, ein Ablegen der materiellen Begierden. Hierin scheint eine unauflösbare Schwierigkeit zu liegen und deshalb betont Patanjali dies indem er zwei Sutras dem Thema widmet.
Die erfolgreichsten sind jene die ohne Begierden sind, aber trotzdem mit höchster Anstrengung ihr Leben der Praxis widmen. Dies ist nur möglich, wenn das Praktizieren der Natur des Menschen entspricht, wenn man losgelöst von allen Anhaftungen, von allem Wollen und Nicht-Wollen, nichts anderes tun würde als zu praktizieren. Dies gibt uns einen Hinweis darauf wie die „ideale“ Praxis aussieht und was sie beinhaltet, nämlich absolutes „Sein“ im Moment. Mehr und nicht weniger ist nötig. Beobachten ohne zu urteilen gilt nicht umsonst als die höchste Kunst.
Als „Gegner“ der Praxis wird der verstandesmäßige Geist wahrgenommen, weil er es ist der uns durch unsere Sinneswahrnehmung an die materielle Welt bindet und dessen höchste Referenz für unser Selbst das Ego (Ahamkara) darstellt. Wenn ich „Ich“ denke, dann kann ich nicht ein höheres Selbst meinen als mein Ego, als jenes Bild das aus Sinneseindrücken und Erinnerungen besteht. Yoga lehrt uns, dass es ein Selbst darüber hinaus gibt, aber unser verstandesmäßiger Geist blockiert uns die Sicht dorthin, weil solange wir uns auf seinen Bahnen bewegen mit unseren Gedanken, solange können wir an keinem höheren Punkt landen als bei unserem Ego. Dabei ist unser Verstand und unser Ego weder schlecht noch böse, etc. im Gegenteil, diese Funktionen unseres Selbst erfüllen eine essentielle Aufgabe ohne die wir nicht existieren könnten, weil wir keine Erfahrungen machen könnten als Individuum in dieser Welt. Vielleicht wird mit dieser Einsicht klarer wieso Yoga wörtlich soviel bedeutet wie „vorspannen“ und nicht „zerstören“, weil es darum geht die Vorgänge des verstandesmäßigen Geistes zu kontrollieren, zu zügeln und für sich zu nutzen, aber die Zerstörung kann nicht das Ziel sein, weil es würde das Ende unserer Existenz bedeuten.